Menschen ohne religiöses Bekenntnis werden in Deutschland diskriminiert. Ein Gespräch mit Arik Platzek (Sprecher des Humanistischen Verbandes Deutschland)
Interview: Peter Wolter
In Deutschland gibt es etwa 30 Millionen Menschen ohne religiöses Bekenntnis – »Bürger zweiter Klasse«, heißt es in einer jetzt herausgegebenen Erklärung des »Humanistischen Verbandes Deutschlands«. Wie begründen Sie diese kühne Aussage?
Das ist keine kühne Aussage, sondern eine Feststellung, die sich in zahlreichen Themengebieten belegen lässt. Es lässt sich ja nicht übersehen, dass sich bei öffentlichen Anlässen regelmäßig Vertreter von Religionen in Szene setzen dürfen, Repräsentanten konfessionsfreier und nichtreligiöser Bürgerinnen und Bürger aber höchstens ausnahmsweise vorkommen.
Viel bedeutsamer ist die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt: Obwohl kirchliche Einrichtungen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen zu 80 bis 95 Prozent – nicht selten auch vollständig – aus öffentlichen Mitteln bzw. den Mitteln der Gesamtheit aller Beitragszahler und durch Nutzungsentgelte finanziert werden, dürfen Konfessionsfreie von solchen Arbeitsplätzen ausgeschlossen werden.
In manchen Regionen wiederum befinden sich Kindertagesstätten flächendeckend in kirchlicher Trägerschaft – eine Zumutung für Eltern, die keine religiös geprägte Erziehung ihrer Kinder wollen. Oder schauen Sie auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: In den Rundfunkräten sind diverse Religionsgemeinschaften vertreten, die nichtgläubigen Beitragszahler haben keine Stimmen.
Ein viertes Beispiel: Im Hochschulbereich gibt es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Förderwerke für Studierende mit christlichem, jüdischem oder muslimischem Bekenntnis. Ein Förderwerk für Studierende mit säkularer, humanistischer oder atheistischer Lebensauffassung gibt es nicht.
Wir haben den Bericht »Gläserne Wände« verfasst, um die Vielzahl dieser täglichen und strukturellen Benachteiligungen darzustellen. Er erscheint am 17. September.
Ich zahle seit meinem 16. Lebensjahr keine Kirchensteuer und habe das keineswegs als Benachteiligung empfunden. Das ist doch ein Vorteil, den ich als Atheist gegenüber denjenigen habe, die dran glauben und dann finanziell auch noch dran glauben müssen.
Ein Nachteil ist das sicher nicht. Wenn Sie als Nichtreligiöser aber aus einer Kirche austreten wollen, werden Sie zur Kasse gebeten. Der Austritt kostet, je nach Bundesland, zwischen zehn und 60 Euro Verwaltungsgebühr – das gibt es bei keinem anderen Verein.
Es existieren diverse Vereinigungen, die sich dem Atheismus oder zumindest dem Agnostizismus verschrieben haben: die Freidenker, die Giordano-Bruno-Stiftung usw. Wieso gelingt es nicht, dass diese Organisationen an einem Strang ziehen, um eine angemessene Repräsentanz von Nichtgläubigen durchzusetzen?
Eigentlich ziehen diese Organisationen schon an einem Strang. Hier gibt es seit 2008 den »Koordinierungsrat säkularer Organisationen« als Dachverband. Der fordert unter anderem einen Dialog zwischen Religionsfreien und Bundesregierung, wie es ihn auch mit Muslimen gibt. Doch das wird bis heute ignoriert.
Bei anderen Themen ist die Kooperation weniger stark, denn die Ziele sind recht unterschiedlich. Bei einigen wiederum findet man schnell zusammen. So etwa bei der Suizidhilfe, zu der der Bundestag im Herbst neue Regelungen schaffen will.
Sollten die Nichtgläubigen nicht auch in der Öffentlichkeit mehr von sich reden machen? Es gibt ja viele Möglichkeiten: Demos, Flash-Mobs, notfalls Sprengung einet TV-Talkrunde …
Das hängt von der jeweiligen Organisation ab. Die Giordano-Bruno-Stiftung hatte in den letzten Jahren diverse Aktionen organisiert. Der »Humanistische Verband Deutschlands« konzentriert sich wiederum auf konkrete soziale, pädagogische und kulturelle Dienstleistungen und Angebote, etwa die Jugendfeier, und eben auch die politische Interessenvertretung. In diesem Rahmen ist der neue Bericht entstanden.
Jugendfeier? Ist das nicht ein Abklatsch christlicher Initiationsriten wie die Konfirmation? Warum haben es Atheisten nötig, christliche Spektakel nachzuahmen?
Das sollten Sie die vielen tausende Eltern und Jugendlichen fragen, die jedes Jahr daran teilnehmen. Natürlich haben wir Verständnis dafür, wenn jemand so etwas ablehnt – es ist halt ein Angebot, auf das man eingehen kann, aber nicht muss.